Bis Ende 2018 hätten noch höchstens 650’000 Lastwagen über die Schweizer Alpen fahren dürfen, so steht es im Gesetz. Doch das Verlagerungsziel wurde auch im Jahr 2019 deutlich verpasst, wie die jüngsten Zahlen des Bundes zeigen. Es gilt nun, die Chance zu nützen, welche das Milliardenprojekt NEAT mit der Fertigstellung des Ceneri-Basistunnels und des 4-Meter-Korridors auf der Gotthardachse ab Dezember 2020 bietet. Die Infrastruktur allein wird es jedoch nicht richten. Um den Güterverkehr durch die Alpen effektiv auf die Schiene zu verlagern, braucht es auch Massnahmen beim Schwerverkehr.
Insgesamt 898’000 Lastwagen durchquerten 2019 die Schweizer Alpen. Das sind zwar 42’000 weniger als im Jahr davor. Aber angesichts der Tatsache, dass aufgrund der rückläufigen Konjunktur in Italien insgesamt 4.6 Prozent weniger Güter auf Schiene und Strasse durch die Alpen transportiert worden sind, ist das kein Verlagerungserfolg. Es zeigt sich einmal mehr: Die gesetzlich verankerte Verlagerung kommt nur stockend voran. «Weil der Rückgang der Lastwagenbewegungen wirtschaftlich bedingt ist und der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene bei rund 70 Prozent verharrt, haben wir 2019 in Sachen Verlagerung so gut wie nichts erreicht», warnt Jon Pult, Bündner Nationalrat und Präsident der Alpen-Initiative eindringlich. Auch ein zwischenzeitlich stärkerer Rückgang des alpenquerenden Lastwagenverkehrs infolge der Coronavirus-Krise, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass für eine baldige Realisierung des alpenverträglichen Verlagerungsziels von der Politik mehr Engagement gefragt ist.
Mit der Fertigstellung des Ceneri-Basistunnels und des 4-Meter-Korridors auf der Gotthardachse ab Dezember 2020 ist das Milliardenprojekt NEAT bald vollendet, und die nötigen Kapazitäten auf der Schiene stehen bereit. Zudem hat der Bundesrat mit den im Verlagerungsbericht 2019 vorgestellten Massnahmen wieder Dynamik in die schweizerische Verlagerungspolitik gebracht. Auch der Nationalrat hat sich jüngst zur Verlagerung auf die klimafreundliche Schiene bekannt, indem er Anfang März eine Weiterführung der Betriebsbeiträge für den alpenquerenden Unbegleiteten Kombinierten Verkehr (UKV) abgesegnet und gleichzeitig den Bundesrat dazu aufgefordert hat, mit Frankreich und Belgien über eine alternative NEAT-Zulaufstrecke zu verhandeln.
Um das seit zwei Jahren überfällige Verlagerungsziel zu erreichen, werden diese Schritte allerdings nicht ausreichen. Besonders beim Strassengüterverkehr sind nun griffige Massnahmen angezeigt. «Unserer Gesellschaft entstehen jährlich massive ungedeckte Kosten durch den Strassentransport. Um Kostenwahrheit und gleich lange Spiesse zwischen der Bahn und der Strasse zu schaffen, muss die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) entsprechend den Spielräumen des Landesverkehrsabkommens mit der EU maximal ausgeschöpft oder eine Alpentransitabgabe für den Schwerverkehr eingeführt werden», hält Jon Pult fest.
In einem zweiten Schritt muss bei der LSVA möglichst bald auch der CO₂-Ausstoss des jeweiligen Fahrzeugs berücksichtigt werden. So werden Umwelt- und Klimaschäden fair und verursachergerecht abgegolten. Ganz nach dem Motto: Wer mehr CO₂ emittiert, zahlt auch mehr. Zusätzlich wird so die vom Stimmvolk gewünschte Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene gefördert. Denn die klimafreundlichste Lösung im Güterverkehr bleibt die elektrisch betriebene und mittels erneuerbarer Energien gespiesene Güterbahn.