Alf Arnold, Geschäftsführer Alpen-Initiative
Die Alpen-Initiative bekräftigt in einer „Volksvernehmlassung“ ihre Forderungen nach Einhaltung des Verlagerungsziels. Mit einer Alpentransitbörse, vom Bundesrat auf dem Verordnungsweg eingeführt, soll das Ziel von maximal 650’000 Lastwagen 2009 endlich erreicht werden. Die Schienenkapazitäten sind vorhanden, durch ein differenziertes Pricing könnten sie weit besser genutzt werden. Der Produktivitätsgewinn der NEAT ist kein Grund, die Verlagerung aufzuschieben. Die Alpen-Initiative erwägt eine Aufsichtsbeschwerde gegen den untätigen Bundesrat.
Eigentlich hätten wir an dieser Pressekonferenz einen ersten Kommentar zum Vorschlag des Bundesrates für die Weiterführung der Verlagerungspolitik abgeben wollen. Nachdem der Bundesrat das Geschäft aber ans UVEK zurückgewiesen hat, bleibt uns nur eine Kommentierung dessen, was bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Die Rede war von zwei Varianten, bei denen mit einer oder zwei Milliarden Franken das materielle Ziel nur teilweise (1,1 Millionen Lastwagen) oder ganz (650’000 Lastwagen), in beiden Fällen aber erst 2017 erreicht würde. Dazu ist Folgendes festzuhalten: Eine Vorlage, welche das Verlagerungsziel von 650’000 Lastwagen lockern oder den Termin für dessen Erreichung hinausschieben will, widerspricht der Verfassung und kommt für die Alpen-Initiative nicht in Frage. Das Volk hat 1994 eine Verlagerung innerhalb von 10 Jahren nach Annahme der Initiative beschlossen. Der Bundesrat hat sich im Rahmen der bilateralen Verhandlungen mit der EU seinen Handlungsspielraum so weit einengen lassen, dass mit dem Verkehrsverlagerungsgesetz und dem Zahlungsrahmen für die Subventionierung des Schienengüterverkehrs flankierende Massnahmen beschlossen werden mussten. Das Parlament hat damals klar gesagt, dass es die Verlagerung aber nicht mehr als 5 Jahre, also bis 2009 aufschieben will. Die Alpen-Initiative und andere Umweltorganisationen haben die bittere Kröte im Vertrauen auf das Wort des Parlaments – im Gesetz verankert – geschluckt und den Bilateralen nicht opponiert. Wenn jetzt plötzlich die Verlagerung auf einen Termin „zwei Jahre nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels“ (das heisst mindestens 2018 = 24 Jahre nach der Volksabstimmung!) verschoben werden soll, so ist dies ein eklatanter Vertrauensbruch und ein Schlag ins Gesicht des Volks, das die Verlagerungspolitik mehrmals bestätigt hat, zuletzt mit der Abfuhr für den Avanti-Gegenvorschlag. Eine Bindung des Verlagerungsziels an den Gotthard-Basistunnel macht auch sachlich keinen Sinn:Kapazitäten: Ohne NEAT wird eine Verlagerung langfristig nicht möglich sein. Kurz- und mittelfristig sind jedoch noch genügend Schienen-Kapazitäten vorhanden: Heute werden von der Bahn bereits 23,7 Mio. Tonnen transportiert (2005). Die 1,25 Mio. Lastwagen transportierten im Jahr 2004 12,5 Mio. Tonnen Güter über die Schweizer Alpen. Verlagert man von diesen 7 Mio. Tonnen auf die Schiene, so liegt der Bedarf aktuell bei 31 Mio. Tonnen. Nimmt man noch 10% Wachstum dazu, so sind es bis 2009 deren 35 Mio. Tonnen. Der Lötschberg-Basistunnel allein sollte aber gemäss Angaben der SBB von 1997 eine Kapazitätssteigerung von 9 auf 15 bis 20 Mio. Tonnen erreichen; heute sind am Lötschberg etwa 7 Mio. genutzt. Effektiv werden nach Angaben der SBB die heute bereits vorhanden Trassen für den Güterverkehr über die Alpen nur an durchschnittlich 160 von 365 Tagen pro Jahr genutzt! Durch ein differenziertes Pricing könnte die Nutzung massiv gesteigert werden!
Produktivitätsgewinn: Die NEAT am Gotthard wird die Produktivität der Schiene durch Verkürzung der Strecke, weniger Höhendifferenzen und grössere Geschwindigkeiten bedeutend erhöhen. Der Produktivitätsgewinn ist aber nicht so gross, dass er als Zaubermittel allein eine Zielereichung ermöglichen würde. Dies umso weniger, als die zu verlagernden Güter auf einer sehr langen Strecke unterwegs sind und Produktivitätsgewinne auf dem kurzen Abschnitt im NEAT-Perimeter mit wenigen Prozenten auf den Transportpreis über die ganze Strecke durchschlagen (die SBB führt ihre Güterzüge schon heute über durchschnittlich 750 km). Mitentscheidend wird auch die Entwicklung der Schwerverkehrsbesteuerung und anderer Rahmenbedingungen im Ausland (60-Tönner?) sowie der Qualität des Schienentransportes sein.
Fazit: Es gibt keinen Grund, mit einer aktiven Verlagerungspolitik auf die Fertigstellung des Gotthard-Basistunnel zu warten. Für die Alpen-Initiative ist deshalb klar:Die alpenquerenden Lastwagenfahrten müssen und können bis spätestens 2009 auf 650’000 reduziert werden.
Die Alpentransitbörse ist 2008 einzuführen. Sie ist das einzige, unabhängig von den übrigen Rahmenbedingungen garantiert wirksame Verlagerungsinstrument.
Der Bundesrat selber muss die Verlagerungsmassnahmen beschliessen. So schreibt es die Verfassung vor, damit das Parlament den Volkswillen nicht sabotieren kann.
Mit unserer soeben erschienen Mitgliederzeitschrift „Echo“ rufen wir die EmpfängerInnen auf, diese Forderungen in einer „Volksvernehmlassung“ dem Bundesrat gegenüber klar zu machen. Dass der Verordnungsweg möglich ist, wird in einem andern Referat dargelegt. Es geht nicht an, dass der Bundesrat sich weiterhin um seine Verantwortung herumdrückt oder diese dem Parlament abschiebt. Die Alpen-Initiative erwägt deshalb, dem Bundesrat mit einer Aufsichtsbeschwerde ans Parlament Druck zu machen.