Der Bundesrat ignoriert sämtliche Einwände und hält an seiner zweiten Strassenröhre am Gotthard fest. Was taugen politische Versprechen in der Verkehrspolitik?
tob. Die Aussage kennen bald alle. Bundesrat Hans Hürlimann (CVP) sagte 1980 bei der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels: «Dieser Tunnel ist kein Korridor für den Schwerverkehr.» Da raus ist eine Million Lastwagen pro Jahr geworden. Ein weiteres verkehrspolitisches Versprechen sei erwähnt. Bundesrätin Elisabeth Kopp (FDP) sagte 1988 im Nationalrat, als es um die Ausmasse der Lastwagen ging: «Der Bundesrat hat unmissverständlich klar gemacht [..], dass er an der 28-Tonnen-Limite festhalten wird.» Ein paar Jahre später hat der Bundesrat die Limite auf 40 Tonnen hinaufgesetzt.
Man muss oder darf den beiden Magistraten nicht vorwerfen, unredlich gehandelt zu haben. Doch in der Politik sind Versprechen rasch hinfällig, vor allem dann, wenn neue Personen an den Schalt hebeln sitzen – und das ist in einer Demokratie völlig normal.
Scheibchenweise
Im September 2013 hat der Bundesrat seine Tunnel-Botschaft ans Parlament verabschiedet. Er will sich damit die Berechtigung holen, am Gotthard eine zweite Strassenröhre bauen zu dürfen. Dies, obwohl die Verfassung verbietet, die Kapazitäten der Transitstrassen durch die Alpen zu erhöhen. Der Gotthard war und ist da mitgemeint.
Was haben wir davon zu halten, wenn der Bundesrat nun ein Gesetz ändern will und der Bevölkerung mitteilt: «Mit der Gesetzesänderung wird sichergestellt, dass dem Verkehr auch nach der Sanierung des bestehenden Tunnels stets nur eine Fahrspur pro Richtung zur Verfügung stehen wird.» Dieses Gesetz wird frühestens im Jahr 2030 wirksam. Erst dann wären eine zweite Strassenröhre am Gotthard fertig und die bestehende Röhre saniert. Wird 2030 Doris Leuthards Versprechen noch entscheidend sein?
Vielleicht wird man sich eher an eine andere Aussage der heutigen Verkehrsministerin erinnern. 2012 hat sie laut einem öffentlich gewordenen Kommissionsprotokoll gesagt: «Wir bauen ja kaum zwei Tunnels und lassen je eine Spur leer. Das ist meines Erachtens scheinheilig.» Das heisst: Ist die zweite Röhre gebaut, kann der Alpenschutz in der Verfassung viel leichter geknackt und können die vier Spuren rasch voll genutzt werden. Eine entsprechende Volksinitiative («Freie Fahrt statt Megastaus») ist ja bereits lanciert!
Gift und Explosives
Nichts Gutes für den Gotthard verheisst auch die Absicht des Bundes, 2015 zusätzliche Strassentunnels für den Transport gefährlicher Güter freizugeben. So zum Beispiel den Seelisbergtunnel zwischen Nidwalden und Uri, wo heute der Transport gefährlicher Güter am Wochenende verboten ist. Der 9 km lange Tunnel hat zwei Röhren und wird vierspurig befahren. Der Bund begründet die geplante Aufhebung der geltenden Beschränkungen damit, dass die Bauten aufwändig saniert und mit moderner Lüftungstechnik ausgerüstet worden sind oder werden. Wird am Gotthard eine zweite Strassenröhre gebaut, so wird der Tunnel wie beim Seelisberg zweiröhrig und mit den neusten Anlagen ausgerüstet sein. Zudem wird er Sicherheitsstollen und (vielleicht) Pannenstreifen haben, was es im stärker befahrenen Seelisberg nicht gibt. Warum sollten da weiter die jetzigen Beschränkungen gelten? Heute dürfen gefährliche Güter (explosive Güter oder andere Stoffe, die Mensch und Umwelt schwer schädigen können) nur in ganz kleinen Mengen durch den Gotthard-Strassentunnel transportiert werden. Dieses Verbot kann nur mit einem einröhrigen Tunnel aufrechterhalten werden, nicht aber, wenn es am Gotthard eine zweite Strassenröhre gibt.
Spezielle Anerkennung
Es gibt aus der Verkehrspolitik auch Positives zu berichten. Die Alpentransitbörse als Verlagerungsinstrument für den Güterverkehr auf die Schiene hat von unverhoffter Seite Unterstützung erfahren: Der liberale ThinkTank Avenir Suisse fordert in einem Diskussionspapier zur Kostenwahrheit im Verkehr die Einführung einer Alpentransitbörse (ATB), um den Transitverkehr unter Kontrolle zu bringen.
Die ATB sei «zwar ein Eingriff in den Verkehrsmarkt», aber sie ermögliche eine möglichst effiziente Nutzung der begrenzten Kapazitäten. Laut Avenir Suisse ist die ATB ausserdem ein faires System, da die Einnahmen für Infrastruktur gebraucht werden können und dadurch den Steuerzahler entlasten. Somit geht auch die als äusserst liberal bekannte Organisation heute davon aus, dass es für die Transitlastwagen eine Alpentransitbörse braucht. Gut so!