Alf Arnold, Geschäftsführer der Alpen-Initiative
Mittelfristig können auf den Zulaufstrecken zu den beiden neuen Basistunnels am Gotthard und am Lötschberg Engpässe auftauchen. Durch ein marktorientiertes Rail-Pricing und eine beschleunigte Realisierung von ZEB-Projekten für den Nord-Süd-Güterverkehr dank Alpentransitbörse ist die planmässige Verlagerung auch längerfristig möglich.
Die Bahnen bieten heute für den Nord-Süd-Güterverkehr 230 bis 270 Trassen pro Tag. Kurzfristig stehen den Bahnen damit genügend Kapazitätsreserven zur Verfügung, um das Verlagerungsziel 2009 umzusetzen. Da der Transitverkehr aber weiterhin ansteigen wird, ist frühzeitig eine Strategie für die Weiterentwicklung der Kapazitäten zu entwerfen.
Die offizielle Politik stützt sich dabei auf die folgenden beiden Pfeiler:
Zukünftige Entwicklung der Bahnprojekte (ZEB):
Mit ZEB (= 2. Etappe Bahn 2000, realisiert 2030) sollen 370 Trassen pro Tag zur Verfügung gestellt werden. Die nach heutiger Schätzung ca. 5 Milliarden Franken für ZEB werden jedoch frühestens ab 2017 zur Verfügung stehen.
Leistungsvereinbarung Bund/SBB: Kleinere Engpässe können auch aus dem Geld finanziert werden, das der Bund der SBB über die Leistungsvereinbarung zur Verfügung stellt.
Die Entwicklung der verfügbaren Kapazitäten wird unterschiedlich eingeschätzt. Gemäss FinöV- und NEAT-Planung sollen nach der Fertigstellung der NEAT 300-330 Güterverkehrstrassen mit einer Kapazität von 47 – 62 Millionen Jahrestonnen zur Verfügung stehen. Das Bundesamt für Verkehr berechnet neu 370 Trassen nach ZEB-Realisierung (ca. 2030) mit einer Kapazität von 54 Millionen Jahrestonnen. SBB-Cargo spricht für die gleiche Anzahl Trassen nur noch von 35 bis 42 Millionen Jahrestonnen, während SBB Infrastruktur für den Zeithorizont ZEB 390 Trassen annimmt. Die unterschiedlichen Zahlen beruhen vor allem auf einer unterschiedlichen Einschätzung der möglichen Zugslängen und Zuggewichte sowie der realisierbaren Betriebstage (vgl. Trassenpreisdifferenzierung unten).
Die Alpen-Initiative empfiehlt deshalb vorsorglich folgende ergänzenden Massnahmen für den Güterverkehr:
a) Neugestaltung der Trassenpreise
Trassenpreis-Differenzierung nach Angebot und Nachfrage („Rail-Pricing“): Gemäss Angaben der SBB werden die vorhandenen Güterverkehrstrassen auf den Nord-Süd-Achsen durchschnittlich nur an 160 Betriebstagen pro Jahr genutzt! Diese Tatsache weist auf grosse Kapazitätsreserven hin, die vor einem teuren Ausbau genutzt werden sollten. Die Trassenpreise orientieren sich primär am Brutto-Gewicht der Züge. Das System hat zur Folge, dass viele, an sich vorhandene, aber qualitativ minderwertige Trassen (längere Laufzeiten, lange Wartezeiten mit entsprechend höheren Betriebskosten; unpassende Tageszeiten oder Wochentage) gar nicht oder nur selten genutzt werden. Eine Trassenpreisgestaltung nach Angebot und Nachfrage würde dazu beitragen, dass auch die heute weniger nachgefragten Trassen verkauft werden könnten. Die Differenzierung muss allerdings – solange es keine Alpentransitbörse gibt – beide Elemente des Trassenpreises (Mindestpreis und Deckungsbeitrag) umfassen, da der Deckungsbeitrag heute im Rahmen der Subventionierung des Eisenbahngüterverkehrs grossenteils vom Bund übernommen wird.
Stärkere Gewichtung der Slots: Das heutige Bruttotonnen-Trassenpreissystem bietet überdies wenig Anreiz, die technisch möglichen Normen (Zugslänge und Zugsgewicht) optimal zu nutzen. Ein System, das beim Güterverkehr den Slot höher gewichtet als das Zugsgewicht erhöht die Streckenkapazitäten.
Bonus-Malus-System: Verspätete Züge blockieren nicht nur das für sie vorgesehene Trasse, sondern zusätzlich Trassen, auf denen sie dann tatsächlich verkehren. Sollen die Trassen möglichst gut genutzt werden, so ist deshalb das in der Netzzugangsverordnung (Art. 21 Abs. 2) vorgesehene, aber bis heute nicht realisierte Bonus-Malus-System zur Anwendung zu bringen.
Unser Präsident Fabio Pedrina wird in der Frühlingssession eine Motion mit diesen Forderungen einreichen (siehe Beilage).
b) Beschleunigung von ZEB-Projekte dank Alpentransitbörse
Eine schnellere Realisierung von Ausbauprojekten ist nur über die Erschliessung weiterer Finanzquellen möglich. Im Rahmen des FinöV-Fonds wären folgende Möglichkeiten denkbar:
Erhöhung des Beitrags aus der Mehrwertsteuer (heute 1 Promille = ca. 280 Mio.)
Einholung von Beiträgen internationaler Organisationen
Anhebung der Verschuldungslimite / längere Speisung des FinöV-Fonds
Ausdehnung der LSVA auf Lieferwagen (ca. 200 Mio. pro Jahr)
Die Alpen-Initiative sieht im Augenblick eine andere, kurzfristiger realisierbare Lösung, die wir dem Bundesrat bereits in der Vernehmlassung zum Güterverkehrsverlagerungsgesetz (GVVG) unterbreitet haben: die Erweiterung des Verwendungszwecks des Zahlungsrahmens für den Eisenbahngüterverkehrs.
Aus diesem Gefäss (2,85 Milliarden Franken für den Zeitraum 2001-2010) werden heute Betriebszuschüsse finanziert. Im Vorschlag des Bundesrates für das GVVG sind für diesen Zweck nochmals zwei Milliarden Franken vorgesehen. Je schneller jedoch die Alpentransitbörse realisiert wird, desto schneller erübrigen sich die Betriebsbeiträge. Anderseits werden umso schneller Kapazitätsengpässe auftauchen. Es scheint uns deshalb nur logisch, dass der Verwendungszweck des Zahlungsrahmens auf eine gezielte Infrastruktur-Finanzierung der Nord-Südachsen ausgedehnt wird. Das Geld ist auf diese Art auch nachhaltiger eingesetzt als in Betriebszuschüssen.
Nach dem blossen Wortlaut des geltenden Bundesbeschlusses wäre die Finanzierung von Infrastrukturvorhaben aus dem Zahlungsrahmen schon heute möglich, denn dieser steht zur Verfügung „für die Förderung des gesamten Bahngüterverkehrs, insbesondere Trassenpreisvergünstigungen und Abgeltungen“. In der Botschaft des Bundesrates wird diese Möglichkeit aber nicht erwähnt; es ist nur von Trassenpreisvergünstigungen und Abgeltungen die Rede. Im neuen Beschluss ist deshalb eine andere, offenere Formulierung zu wählen, oder es sind Infrastrukturmassnahmen ausdrücklich zu erwähnen.
Grossprojekte können auch aus dieser Quelle nicht realisiert werden. Dafür werden weitere Quellen erschlossen werden müssen. Immerhin ist es dank dieser Quelle möglich, ZEB-Projekte im Interesse des Nord-Süd-Güterverkehrs vorgezogen zu realisieren, falls sich dies als notwendig erweisen sollte. Neben Streckenausbauten ist auch eine beschleunigte Realisierung von ETCS denkbar, wenn man sich von diesem System höhere Kapazitäten verspricht.
Altdorf, 20.2.07