Von Nationalrat Fabio Pedrina, Präsident Alpen-Initiative
Der Kanton Tessin darf während der Sanierung des Gotthard-Strassentunnels nicht von der Deutschschweiz abgeschnitten werden. Dieses Anliegen teilt auch die Alpen-Initiative. Sie sieht die Sanierungszeit aber eher als eine Chance denn als Nachteil für den Kanton. Das Parlament hat es zudem in der Hand, mit der Beratung der Standesinitiativen Tessin und Uri die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene zu beschleunigen und zu sichern.
Der Tessin darf während der Sanierungszeit nicht von der Deutschschweiz isoliert werden. Das ist auch ein Anliegen der Alpen-Initiative. Mit der vorliegenden Studie haben wir gezeigt, dass dies möglich ist, ohne dass vorgängig eine verfassungswidrige zweite Röhre gebaut wird.
Im Übrigen zeigen die Statistiken, dass die mehrwöchigen Unterbrüche der Gotthardachse auf der Strasse dem Tourismus im Tessin kaum geschadet haben. Die Übernachtungszahlen sind in den Jahren 2006 (Felssturz bei Gurtnellen) wie schon 2001 (Tunnelbrand) kaum geringer als in den andern Jahren:
Orange = höher als im Ereigniszeitraum // Grün = tiefer als im Ereigniszeitraum
Vom Jahr 2004 fehlen jegliche Zahlen.
Offenbar wird der Tourismus im Tessin nicht wesentlich von der Verfügbarkeit der A2 bestimmt, sondern von vielen andern Faktoren. Anderseits müssen wir befürchten, dass der Bau einer zweiten Röhre den Touristen einen Anlass zum Verweilen im Tessin nimmt. Je schneller die Strasse wird, umso weniger haben Touristen Grund, im Tessin eine Pause einzulegen bzw. einen längeren Aufenthalt einzuschalten.
Die Alpen-Initiative betrachtet die temporäre Schliessung des Gotthard-Strassentunnels als eine Chance, den autofreien Tourismus im Tessin zu lancieren und zu fördern. Denn vor der Sanierung des Strassentunnels und der Inbetriebnahme der von uns vorgeschlagnen rollenden Strassen wird der Gotthard-Basistunnel eröffnet, und die Eisenbahn bietet bisher unbekannt kurze Fahrzeiten in den Süden. Ausserdem ist zum Zeitpunkt der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels auch die Expo „Gottardo 2020“ geplant. Gemäss den Absichten der Initianten soll der Verkehr zwischen den verschiedenen Standorten der Ausstellung nördlich und südlich der Alpen auf der Schiene abgewickelt werden. Wird der öffentliche Regionalverkehr von den Zentren in die Täler mit Angeboten wie Bustaxi, Mobility etc. ergänzt, so wird der öffentliche Verkehr zu einer attraktiven Alternative. Auch ein autofreies Wochenende im Tessin wäre so möglich. Die Alpen-Initiative hat schon vor Jahren Vorschläge gemacht, wie durch Pauschaltickets von der Deutschschweiz aus ins Tessin inkl. Regionalverkehr (analog zu den bestehenden City-Tickets) auch im Tarifbereich die Attraktivität der Bahn gesteigert werden könnte. Wir sind zuversichtlich, dass auf diese Art mehr Touristinnen und Touristen dazu gebracht werden können, im Tessin zu verweilen statt nur hin- und gleich wieder zurückzufahren.
Noch ein paar Worte zu Verlagerungspolitik:
Das Parlament wird demnächst den Verlagerungsbericht diskutieren und dabei frustriert feststellen, dass die Verlagerung nicht die gewünschten Fortschritte macht. Das ist auch nicht erstaunlich, denn das gleiche Parlament hat sich auch gegen die Aufnahme von griffigeren Instrumenten in das Verkehrsverlagerungsgesetz (VVG) 1999 und zehn Jahre später in das Güterverkehrsverlagerungsgesetz (GVVG, 2008) gewehrt. Und die entscheidende Einführung der Alpentransitbörse erfordert gemäss Beschluss des Parlaments noch einmal ein Gesetz und ist nochmals dem Risiko eines Referendums ausgesetzt.
Mit den Standesinitiativen der Kantone Tessin und Uri, die vom Ständerat unterstützt werden, hat das Parlament aber nochmals eine Gelegenheit, beim Verlagerungskonzept Korrekturen anzubringen. Im Sinne einer Umsetzung der Initiativen könnte es beschliessen, das GVVG nachzubessern.
Die Alpentransitbörse könnte entscheidend schneller eingeführt werden:
Wenn das Parlament dem Bundesrat zusätzlich zur Kompetenz, Verhandlungen zu führen und Verträge abzuschliessen, auch die Kompetenz erteilen würde, die Alpentransitbörse selbständig einzuführen.
Wenn das Parlament bereits jetzt ein Ausführungsgesetz mit den Eckwerten der Alpentransitbörse erlassen würde.
Ein weiterer Zeitgewinn wäre möglich, wenn die Ausführungsverordnung zur Alpentransitbörse zeitlich parallel zu den Verhandlungen mit der EU und den Nachbarländern entwickelt würde und nicht erst nach Abschluss der entsprechenden Abkommen.
Eine Lücke im Verlagerungsinstrumentarium besteht nach Ansicht der Alpen-Initiative auch im Bereich der Qualität des Bahnangebots. Darauf ist unter einer längerfristigen Optik viel Gewicht zu legen. Dazu müssten vor allem innovative Ansätze durch Forschungsgelder und Anschubfinanzierungen gefördert werden. Auch zu diesem Zwecke könnten die Überschüsse aus dem Zahlungsrahmen 1999 verwendet werden. Ein Beispiel eines innovativen Ansatzes ist der Güterpendelzug von RailValley (www.railvalley.org).