15. Februar 2011

Die Schweiz steht beim Transitverkehr vor zwei Herausforderungen: Der Gotthard-Strassentunnel muss saniert werden. Die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene muss bis spätestens 2019 umgesetzt werden.

Einige Schlaumeier nehmen die anstehende Sanierung des Gotthard-Strassentunnels als Vorwand, um die schon lange gewünschte, aber vom Volk zweimal abgelehnte zweite Röhre zu realisieren. Die einen – so verschiedene Vorstösse in National- und Ständerat und eine Standesinitiative des Tessiner Kantonsrates sowie eine Volksinitiative der JSVP Uri – fordern eine zweite Röhre „ohne Kapazitätserweiterung“. Das heisst: Während der Sanierung soll die zweite Röhre als Ersatz dienen; nach der Sanierung soll der Verkehr richtungsgetrennt nur auf je einer Spur durch die Röhren fahren. Die anderen – so der Regierungsrat und das Parlament des Kantons Uri – schlagen eine „Ersatzröhre“ vor. Das heisst: Eine zweite Röhre wird gebaut und im Gegenverkehr genutzt; die alte Röhre soll vorerst nicht saniert werden. Der Bundesrat schlägt stattdessen vor, den Verkehr während der Sanierung mit einer Rolllenden Landstrasse für Lastwagen und einem Autoverlad sowie verlängerten Öffnungszeiten der Passtrasse zu bewältigen.

Fakt ist anderseits: Die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene kommt seit Jahren nicht richtig vom Fleck. Die bisher ergriffenen Massnahmen haben nicht zu der vom Volk gewünschten und gesetzlich vorgeschriebenen Reduktion des alpenquerenden Verkehrs auf maximal 650‘0000 LKW-Fahrten geführt (vgl. Grafik). Die Alpen-Initiative fordert deshalb schon seit Jahren die Einführung einer Alpentransitbörse.

Die positiven Zahlen von 2009 täuschen allerdings. Die Werte des ersten Semesters 2010 weisen mit +8,1% bei der Zahl der Lastwagen wie auch bei den Nettotonnen auf der Strasse wieder eine starke Tendenz nach oben auf.

Das Parlament hat dem Bundesrat zwar die Kompetenz zu Verhandlungen über die Einführung einer Alpentransitbörse erteilt. Der Prozess ist bisher aber nicht über das Verfassen von gemeinsamen Studien hinausgekommen. Bis sich die Alpenländer untereinander und mit der EU über die Einführung von Lenkungsmassnahmen geeinigt haben, dürfte noch viel Zeit vergehen.

Die Alpen-Initiative schlägt heute vor, die beiden Probleme Sanierung und Verlagerung miteinander zu verknüpfen und gleichzeitig anzugehen. Ein wichtiges Element dazu ist der Gotthard-Basistunnel, der spätestens 2017 in Betrieb gehen wird, eventuell schon ein Jahr früher. Die weiteren zentralen Elemente dieser Strategie sind:

ein LKW-Fahrverbot im Gotthard-Strassentunnel nach der Sanierung
ein Ersatzangebot für den Schwerverkehr in der Form einer Rollenden Strasse (Rola) im Gotthard-Basistunnel
ein Verkehrsmanagement für den LKW-Verlad in der Form eines Reservationssystems oder einer Alpentransitbörse (ATB).

Eine repräsentative Umfrage der Alpen-Initiative vom Oktober 2010 hat gezeigt, dass 67% der Schweizerinnen und Schweizer einem LKW-Verbot im Gotthardtunnel zustimmen, wenn ein Ersatzangebot vorhanden ist. Im Tessin beträgt die Zustimmung sogar 84%. Eine solche Lösung ist also mehrheitsfähig.

Eine Rola im Basistunnel ist technisch machbar, die Kapazitäten sind auch langfristig vorhanden (vgl. Referat von Paul Romann). Die Machbarkeit und Praxistauglichkeit der Alpentransitbörse ist durch Studien mehrfach bestätigt.

Und so funktioniert die Lösung: Die Kapazität des LKW-Verlads ist beschränkt und bleibt beschränkt. Sie reicht aber aus, um den Gotthard-Anteil (ca. 500‘000 Fahrten pro Jahr) des auch langfristig auf der Strasse verbleibenden alpenquerenden Schwerverkehrs (total 650‘000) aufzunehmen. Folglich muss der Schwerverkehr zwingend dosiert werden. Das Instrument dazu ist entweder ein Reservationssystem (genauso wie man für die Überfahrt mit der Fähre den Stellplatz buchen muss) oder die Alpentransitbörse. Der Unterschied besteht im System der Preisfestsetzung: Beim Reservationssystem wird ein fester Preis angewendet, bei der Alpentransitbörse variiert der Preis entsprechend der Nachfrage.

Mit dieser Kombination von Massnahmen wird nicht nur die Sanierung des Gotthardtunnels mit vorübergehender Totalsperre ermöglicht, sondern gleichzeitig der Schwerverkehr auf die gesetzliche geforderte Menge reduziert. Der Mechanismus wird in den folgenden Grafiken verdeutlicht:

Die Verlagerung auf lange Strecken wird durch die Rola nicht ersetzt oder zu einem Kurzstreckenverlad umgewandelt, wie man meinen könnte. Die Verlagerung auf lange Strecken wird lediglich auf der ökologisch und verkehrstechnisch heikelsten Strecke durch einen Kurzstreckenverlad ergänzt. Dieser nimmt jenen Schwerverkehr auf, der nach Umsetzung der Verlagerung auf der Strasse verbleiben würde. Dabei ist der Kurzstreckenverlad sicher, effizient und umweltfreundlich. Die Kurzstrecken-Rola ist dabei Teil des Systems Strasse.

In einem solchen System müssen die andern Pässe mit einbezogen werden, obwohl der Anreiz für Umwegfahrten kaum vorhanden ist (vgl. Referat von Paul Romann). Am Simplon ist ein analoges System mit LKW-Fahrverbot und Ersatzangebot im Eisenbahntunnel wie am Gotthard denkbar. Auch bei den andern beiden Übergängen wird der Verkehr durch die Alpentransitbörse auf die Hälfte der heutigen Werte reduziert.

Im internationalen Prozess wird es wohl schwierig werden, die Länder auf ein gemeinsames Verlagerungsinstrument zu verpflichten. Österreich favorisiert ein emissionsabhängiges Handelssystem für Transitrechte, Frankreich möchte den Verkehr mit einer höheren, aber fixen Transitgebühr steuern, und das Schweizer Parlament und der Bundesrat haben sich eine Alpentransitbörse, also einen vom Markt gesteuerten Transitpreis zum Ziel gesetzt. Alle Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Statt auf ein grosses gemeinsames System zu warten, könnte sich die Diplomatie darauf beschränken, ein Rahmenabkommen anzustreben, das die Anteile des alpenquerenden Verkehrs definiert, welche die einzelnen Länder zu übernehmen haben. Es läge dann an den Ländern, festzulegen, mit welchen Instrumenten sie den Verkehr auf die gewünschten Verkehrsträger verteilt. Eine solche Zielsetzung ist realistisch und vor der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels erreichbar.

Airolo / Bern, 15.2.2011