23. Dezember 2003

Pia Hollenstein
Der Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative wird für die Alpen und die ganze Schweiz katastrophale Folgen haben: mehr Lärm, mehr Luftverschmutzung, mehr CO2 und mehr Bodenversiegelung. Die zweite Röhre am Gotthard ermöglicht nicht nur ein paar Prozent mehr Verkehr, sondern eine Verdoppelung des Verkehrsvolumens. Sie lockt noch mehr Lastwagen und insbesondere Gefahrguttransporte auf die A2.

Der Bau einer zweiten Röhre bedeutet eine massive Abwanderung von Gefahrguttransporten von der Schiene auf die Strasse. Heute ist der Transport von Gefahrgütern gemäss Definition des SDR im Gotthard-Strassentunnel nur in sehr geringen Mengen erlaubt – anders als im zweiröhrigen Seelisbergtunnel und in allen andern Autobahntunnels. (Die Unfälle der letzten Jahre zeigen allerdings, dass viel mehr Güter als gefährlich eingestuft werden müssten.) Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Gefahrgutvorschriften für einen zweiröhrigen Gotthardtunnel denjenigen anderer Autobahntunnels angepasst werden. Das Resultat werden markant mehr gefährliche Transporte auf der ganzen Transitroute zwischen Basel und Chiasso sein. Bundesrat Leuenberger hat diese Vermutung nicht dementiert. Eine nicht veröffentlichte Studie im Auftrag des Buwal kommt zum Schluss: „Die Emissionen von Stickoxiden (NOx) und des lungengängigen Schwebestaubs (PM 10) nehmen beim Gegenvorschlag und bei der Avanti-Initiative zu. … Das im CO2-Gesetz formulierte Reduktionsziel wird nicht unterstützt. … Die … Ausbauten unterstützen das Ziel der Reduktion der Lärmbelastung nicht. … Die bedeutende Bodenversiegelung steht dem angestrebten Ziel entgegen, dass die Beanspruchung der wertvollen Ressource Boden auf ein Minimum zu beschränken ist.“ Dabei bezieht sich diese Beurteilung auf den ursprünglichen Gegenvorschlag des Bundesrates, nicht auf die viel weitergehende Version des Parlamentes. Durch den Bau der zweiten Röhre sind die schon heute überbelasteten Alpentäler besonders betroffen. Deren ökologische Situation weist einige Besonderheiten auf, die eine Sonderbehandlung der besonders empfindlichen Alpen erfordern:

Ein einzelnes Fahrzeug verursacht in einem engen Alpental dreimal mehr Luftverschmutzung (Immissionen) als im Mittelland, auch wenn es gleichviel Abgase ausstösst (Emissionen). Grund dafür sind die zahlreichen Inversionslagen (insb. im Winter und in der Nacht).
Nimmt der Verkehr infolge einer zweiten Röhre auch nur um 10% zu, so verursacht der Mehrverkehr 50-100 mal mehr Luftverschmutzung als der gelegentlich auftretende Stau. Die zusätzlich ermöglichten Fahrten verschmutzen die Luft überdies auf einer zehn mal längeren Strecke, so dass im Endeffekt die 2. Röhre 500 bis 1000 mal schädlicher ist als der Stau.
Verkehrslärm breitet sich in den engen Alpentälern ähnlich wie in einer Strassenschlucht in der Stadt aus. Bei Inversionen bleibt der Lärm wie in einem Kessel gefangen. (vgl. www.alpeninitiative.ch, Sonstiges : „Verkehr verlärmt die Alpentäler“)
Nimmt infolge des Baus der 2. Röhre der Verkehr auf der A2 zu, so steigt auch die Zahl der Unfälle. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) hat in ihrer Vernehmlassung zur parl. Initiative Giezendanner für eine zweite Röhre klar festgestellt: „Der Bau einer zweiten Gotthardröhre ist aus einer gesamtheitlichen Beurteilung der Sicherheit und aus heutiger Sicht nicht erforderlich. Aus Sicherheitsgründen dringend zu empfehlen ist jedoch die konsequente Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. … Dadurch verringert sich das Risiko nicht nur im Tunnel selbst, sondern auch auf der gesamten Nord-Süd-Achse.“ – Der angebliche Sicherheitsgewinn durch eine zweite Röhre muss zudem relativiert werden: Im Jahr 2000 starben 592 Menschen auf Schweizer Strassen und 1800 Menschen durch die vom Strassenverkehr verursachte Luftverschmutzung. Ein einziger Mensch starb im Gotthardtunnel.
Der Ausbau des Nationalstrassennetzes wird noch mehr Lastwagen auf die Strasse locken. Ihr Risiko, einen Unfall mit tödlichen Folgen zu verursachen, ist um ein Viertel höher als bei Personenwagen. Unbeherrschbare Tunnelbrände lassen sich nur vermeiden, wenn die Lastwagen zwingend auf eine Rola verwiesen werden – mindestens für den Tunnelabschnitt.