Der Ständerat folgt dem Bundesrat und will am Gotthard ebenfalls eine zweite Strassenröhre bauen. Er kümmert sich weder um das knappe Geld, noch um die Menschen entlang der Transitachsen und in den Agglomerationen, noch um die Verfassung.
tob/rg. Doris Leuthard bezeichnet die zweite Röhre gerne als «nachhaltig». Eine neue Studie aus dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) zeigt aber, dass die Röhre bis 2090 fünf Milliarden kosten wird – also auch langfristig teurer ist als jede andere Sanierungsvariante. Der Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber brachte es in der NZZ am Sonntag auf den Punkt: «Das Argument, dass die zweite Röhre langfristig die finanziell beste Lösung ist, stimmt damit nicht.» Der neue Bericht betrachtet korrekterweise auch die Kosten für Betrieb, Unterhalt und spätere Sanierungsschritte bis 2090. Das Papier kommt zum Schluss, dass eine zweite Röhre 1,4 Milliarden Franken teurer ist als die Sanierung ohne zweite Röhre, temporärer Auto- und Lastwagenverlad mit eingerechnet. Der Bundesrat ging von 1,1 Milliarden bis 2030 aus. Die Rechnung der Alpen-Initiative ergibt eine noch grössere Differenz: 3 Milliarden (kleinere Verladeanlagen, Betrieb und Unterhalt, Einnahmen Lastwagen-Rola usw.).
In der Debatte im Ständerat hatte CVP-Vertreter Konrad Graber klar gemacht, dass städtische Gebiete und Randregionen mit ihren Strassenwünschen unter Druck kommen, wenn die zweite Röhre gebaut wird. Jeder Franken, der am Gotthard zu viel verbaut wird, fehlt in der Westschweiz, in den Agglomerationen und in den Randgebieten.
Demokratie in Gefahr
Ein zweiter Bericht bringt den Bundesrat in Bedrängnis. Das Bundesamt für Justiz würde nämlich eine Abstimmung über den Alpenschutzartikel in der Verfassung aus rechtlicher und demokratiepolitischer Sicht bevorzugen. Das Bundesamt schreibt laut Medienberichten: «Unter dem Gesichtspunkt der Garantie der politischen Rechte und der damit verbundenen freien Willensbildung und unverfälschten Stimmabgabe kann sie (die Vorgehensweise des Bundesrats) somit fragwürdig erscheinen.» Der Bundesrat hatte sich einseitig auf eine andere Aussage berufen: Dass eine zweite Röhre, welche einspurig betrieben wird, verfassungskonform sei.
Wie ist es um unsere Demokratie bestellt, wenn der Bundesrat die Ratschläge aus dem Bundesamt für Justiz in den Wind schlägt, um mit fragwürdigen Methoden seine Projekte durchzuboxen? Die Gefahr ist offensichtlich: Zuerst zwei Röhren unter dem Titel «ohne Kapazitätserweiterung» bauen. Dann das vierspurige Befahren in Spitzenzeiten erlauben und anschliessend, wenn alle Fakten geschaffen sind, über den ausgehöhlten Verfassungsartikel zum Alpenschutz abstimmen. So würde schliesslich die vollständige Freigabe der vier Spuren zur Regel und legal. Denn, wer soll noch gegen vier Spuren sein, wenn es nichts mehr kostet?
Doris Leuthard betont, das Volk könne ja jetzt entscheiden. Nein, das Volk kann nicht über die zweite Röhre am Gotthard entscheiden! Das Volk kann nur mitentscheiden, wenn die Alpen-Initiative einen riesigen Aufwand betreibt, um innerhalb von knapp drei Monaten 50’000 Unterschriften für ein Referendum zusammenzutragen. Wenn wir das nicht tun, wird die zweite Röhre glatt am Volk vorbei gebaut!
Verlagern funktioniert
Eine zweite Strassenröhre am Gotthard würde die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene sabotieren. Zurzeit geht bei der Verlagerung der Trend in die richtige Richtung. So hat die Gesamtmenge der transportierten Güter auf Strasse und Schiene 2013 zwar auf 38 Mio. Tonnen zugenommen, doch ging die Anzahl der Lastwagenfahrten um rund 5,5 Prozent zurück. Total wurden 1,143 Millionen Lastwagen gezählt. Der Bahnanteil im alpenquerenden Güterverkehr stieg um 3 auf 66,1 Prozent.
Diese Entwicklung zeigt: Die Verlagerung kann gelingen. Aber es fahren noch immer deutlich mehr als die gesetzlich erlaubten 1 Million Lastwagen pro Jahr (Zwischenziel 2011) über die Alpentransitstrassen. Der Bundesrat ist daher gefordert, weitere Massnahmen wie die Alpentransitbörse einzuführen – dies gerade auch im Hinblick auf die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016.
PS: Der Nationalrat wird voraussichtlich erst im Herbst über die zweite Röhre debattieren.